Home Sweet Home

(Ich habe den nachfolgenden Bericht vor ein paar Tagen verfasst, bin aber erst heute dazugekommen, die dazugehörigen Fotos hochzuladen.)

Es ist drei Uhr morgens und wir sitzen im Bus von Seattle nach Red Bluff. Die Fahrt dauert rund 16 Stunden und da Greyhound nur die Bussorte “unbequem” kennt und schlafen folglich gerade kein grosses Thema ist, habe ich genug Zeit, einen Blick zurück auf die vergangenen Tage zu werfen. Wir haben viel erlebt und es gäbe viel zu erzählen, ich versuche aber, mich kurz zu halten. Aber ja, ich werde sicher auch darauf zu sprechen kommen, dass Seattle und Red Bluff tatsächlich nicht in Kanada liegen. 🙂

Es ist schon eine Weile her, als wir am Mittag des 27. Septembers wieder in Lac La Hache ankamen. An der Busstation (eigentlich ein Café) wartete nicht nur meine Mutter Silvia auf uns, sonder auch meine beiden Brüder Beat und Martin. Diese kleine Familienzusammenkunft war schon lange geplant und insbesondere Silvia hatte sich lange darauf gefreut, mal alle drei Söhne zusammen in ihrem neuen Zuhause in Empfang nehmen zu können. Dort angekommen wurden wir denn auch noch von Bidus Freundin Anna, Ueli und natürlich Riley, Silvia und Ueli’s Hund, begrüsst.

Die drei nächsten Tage in Lac La Hache vielen sehr entspannt aus. Es ist immer wieder schön, bei Silvia und Ueli einfach zu verweilen, herunterzufahren und die Ruhe zu geniessen. Wir alle halfen ein bisschen bei Arbeiten ums Haus herum oder gingen raus für einen kurzen oder langen Spaziergang in der Umgebung. Auch hier war die Landschaft nun in herrliche Herbstfarben getaucht und man hatte das Gefühl, durch ein von Goldgelb und Rot dominiertes Gemälde zu gehen.

Am 1. Oktober fuhren wir schliesslich los Richtung Vancouver Island. Mit an Bord des gemieteten Vans waren Silvia, meine beiden Brüder, Anna, Anne-Claire und ich. Ueli blieb mit Riley zuhause, die viele (teilweise durch die Waldbrände liegengebliebene) Arbeit hätte in unterwegs nicht in Ruhe gelassen.Nach vielen wunderschönen Ausblicken auf die Cost Mountains und einer Übernachtung im sehr touristischen und gepflegten Whistler kamen wir am nächsten Tag in Horseshoe Bay an. Die Fähre brachte uns von hier nach Nanaimo auf Vancouver Island.

Anne-Claire und ich waren schon vor einem Jahr auf dieser grossen Insel und wussten daher auch, dass es sich immer wieder lohnt, hierhin zu kommen. Endlos wirkende Sandstrände, uralte Regenwälder, glasklare Seen umringt von Bergen, beschauliche Hafenstädte und vieles Meer wollen hier entdeckt werden. Von Nanaimo aus fuhren wir an die Westküste nach Tofino. In Neudeutsch würde man diese kleine Ortschaft wohl mit “hip” beschreiben. Es ist vor allem bekannt unter Surfern und macht insgesamt einen sehr jung gebliebenen, lockeren Eindruck. Wir blieben zwei Tage hier und genossen diese mit Ausflügen an den Long Beach, Spaziergängen durch beeindruckende Regenwälder oder einfach bei einem gemütlichen Kaffee in einem Restaurant.

Zwei weitere Tage verbrachten wir schliesslich in den zentral gelegenen Bergen am Rande des Strathcona Provincial Parks. Das Resort, in welchem wir unser Airbnb (man könnte es auch einfach Ferienwohnung nennen) hatten, war zu dieser Jahreszeit fast wie ausgestorben. Dauerhafte Gäste verirren sich vor allem im Sommer und im Winter in diese Gegend, wir mussten die hiesigen Wanderwege also nur mit Tagesausflüglern teilen.

Zu früh mussten wir uns wieder Richtung Süden aufmachen, wo wir am 9. Oktober wieder die Fähre nach Horseshoe Bay bestiegen. Unser eigentliches Ziel war aber Vancouver, welches nur einen Katzensprung von der Horseshoe Bay entfernt ist. Ich habe Vancouver nun schon einige Male besucht, sodass es sich diesmal tatsächlich ein bisschen so anfühlte, also würde ich zuhause ankommen. Ich hatte das Gefühl, mich hier schon ziemlich gut auszukennen. Leider bedeutete die Ankunft in Vancouver auch Abschied nehmen von Silvia und Martin. Martin flog bereits zurück in die Schweiz, Silvia fuhr nach Hause in Lac La Hache.

Da waren’s also nur noch vier. Zweieinhalb Tage waren uns mit Anna und Beat in Vancouver gegönnt, was für diese Stadt eigentlich viel zu kurz ist. Wir beschränkten unsere Erkundungen daher auf die drei (zumindest aus meiner Sicht) wichtigsten Dinge: Den riesigen Stanley Park mit seinen imposanten Mammutbäumen, den Markt auf Granville Island – hier findet man von frischen Lebensmitteln bis zu teilweise kitschigem Kunsthandwerk einfach alles – und das Getümmel in der Robson Street, in das man sich auch einmal gestürzt haben muss.

Am 12. Oktober mussten wir uns schliesslich auch von Anna und Beat verabschieden und wir waren wieder auf uns alleine gestellt. Es hat gut getan und war irgendwie auch eine spannende Erfahrung, mal wieder mit meiner Mutter und meinen Brüdern unterwegs zu sein und sich an alte Zeiten zu erinnern. Anne-Claire und ich haben die Gesellschaft unserer vier temporären Begleiter sehr genossen.

Gleichzeitig verabschiedeten wir uns (vorläufig) auch von Kanada. Schon vor unserer Abreise anfangs August hatten wir mit dem Gedanken gespielt, Mitte Oktober noch einen Abstecher in die USA zu machen. In Kanada kann es zu dieser Jahreszeit schon sehr kalt werden und viele Orte können nicht mehr besucht werden. Warum sich also den Arsch abfrieren, wenn man auch Freunde in San Diego besuchen kann? 🙂

Seattle war unser erstes Ziel in den USA. Der Grenzübergang in einem Bus (richtig, in einem Greyhound) war eine ganz neue Erfahrung, verlief aber reibungslos. Von Seattle war ich dann positiv überrascht. Ich hatte keine Ahnung von dieser Stadt und was mir von ihr bislang zu Ohren gekommen war (auch von Anne-Claire, welche vor zwei Jahren schon einmal in Seattle gewesen ist), hatte mich nicht wirklich in Euphorie versetzen können. Einst als Stadt “zweiter Klasse” abgetan ist Seattle heute aber eine vielseitige, sich immer wieder neu erfindende Ideenküche. Und mitunter ein Paradies für Kaffeeliebhaber. Viele unabhängige Kaffeeröstereien konkurrieren hier mit dem auch in Seattle gegründeten Weltkonzern Starbucks. Guten Kaffee gibt es deshalb um jede Ecke. 🙂

Während den zwei Tagen in Seattle verbrachten wir einige Stunden mit der Planung unserer Weiterreise durch die USA, weshalb uns für die Stadt selbst gar nicht so viel Zeit blieb. So wird uns nebst dem guten Kaffee wohl vor allem der Pike Place Market mit den unzähligen Lebensmittelständen, Kunsthandwerkern, Vintage-Läden, Esslokalen und Strassenmusikanten (und Touristen) in Erinnerung bleiben, wo wir den internationalen Geist und die Vielfalt der Stadt in einer schieren Überdosis zu spüren bekamen. Fazit: Ich hatte mich auf ein langweiliges Seattle vorbereitet und verliess nach zwei Tagen eine Stadt, die meine Interesse definitiv geweckt hat.

Interessant finde ich auch, dass wir während über zwei Monaten in Kanada mit kaum jemandem über Politik geredet hatten, schon nach einem Tag in den USA aber feststellten, dass die Leute hier ein grosses Bedürfnis haben, über ihren Führer (bewusst provokative Wortwahl meinerseits) zu sprechen. Unser Gastgeber in Seattle teilte uns sein tiefes Unbehagen mit, in der Strassenbahn belauschten wir ähnliche Gespräche und selbst im Greyhound (in dem ich übrigens immer noch sitze) spricht man über den Herrn Trump. In den westlichen Staaten, insbesondere in Washington und in Kalifornien, ist man sich ziemlich einig: Trump sucks! Er gilt als der schlimmste Präsident, den die USA je gehabt hat. “But we still got hope”. Hoffen auf eine baldige Veränderung zurück zur Normalität – viel mehr können die Trumpgegner leider Gottes (schon wieder bewusst provokative Wortwahl meinerseits) nicht tun.

Bald kommen wir in Red Bluff an. Anne-Claire hat neben mir endlich Schlaf gefunden und ich versuche nun, es ihr gleich zu tun.

Die passenden Bilder zu diesem Beitrag:

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